Kapitel 7 - Die Ankunft (1)
- Sentei
- 14. Aug.
- 3 Min. Lesezeit

(Teil 1: Die Schwelle)
Es war kein Tor. Kein Schild. Kein Willkommen.Nur eine enge Kurve im Bergpfad, und plötzlich lag er da: der flache Dachfirst, angedeutet durch Schnee, Moos und Verfall. Das Kloster wirkte nicht verlassen – eher wie ein Tier im Winterschlaf. Kein Rauch. Kein Licht. Keine Stimme.
Mario stand als Erster auf der Lichtung. Der Wind kam hart von Westen, trieb graue Flocken waagrecht durch den Bambus. Er tastete nach dem Griff seines Messers, obwohl längst klar war: Wenn hier jemand lauerte, dann hatte er längst verloren.Doch es war niemand da. Nur dieser Ort.
Er atmete tief ein. Kalter Sauerstoff, den er bis in den Bauch ließ. Dann wieder aus. Langsam. Lautlos.Die Schritte hinter ihm kündigten Naomi an, auch wenn sie sich bemühte, lautlos zu gehen. Ihre Atmung war noch flach. Ihr Blick tastete den Zendo ab, das Dach, die Bäume. Kein Kommentar. Kein Blickkontakt.
Zwei Fremde, durch dasselbe Ziel verbunden. Noch kein Vertrauen. Aber auch kein Widerstand mehr.
Sie warteten. Minuten, vielleicht eine Stunde.Dann bog ein dritter Schatten um die Kiefernbiegung – Alpa.Er trug dieselbe Maske wie auf den alten Fahndungsfotos, die Naomi im Archiv der EU-Kommission gesehen hatte. Nur dass jetzt ein Strich durch das Horus-Auge gezogen war – mit schwarzem Filzstift, rau, krude, endgültig.
Niemand sprach. Niemand musste sich vorstellen.
Alpa trat bis vor das alte Holztor, blieb stehen und senkte den Kopf. Dann – ohne es zu berühren – ging er hindurch.Das Tor war nie verschlossen gewesen. Es hatte nur auf etwas gewartet, das sich nicht benennen ließ.
Der Hof
Im Inneren war es still. Keine Glocke. Kein Wassergeräusch. Nur das Krächzen eines Vogels hoch oben im Dachbalken.Moos hatte sich in den Ritzen des Steins festgefressen. Die Holzplanken des Seitengangs waren feucht, doch nicht morsch. Es war ein Ort, der sich selbst konservierte – durch Schweigen.
Mario betrat den Hof als Nächster. Er hatte keine klare Erwartung. Nur einen Drang, hier zu sein.Naomi zögerte. Sie berührte das Tor mit zwei Fingern, als wolle sie sich vergewissern, dass es real war – nicht eine Simulation, nicht ein digitaler Traum, erschaffen vom letzten Rest ihrer Hirnrinde.Es war echt. Und kalt. Und rau.
Sie trat ein.
Der Zendo
Die Schiebetür zum Hauptraum war offen. Nicht weit – nur so weit, dass man sich entscheiden musste, ob man als Gast oder als Dieb eintreten wollte.
Alpa ging zuerst. Er kannte den Weg. Kannte die Regeln.Er legte die Schuhe ordentlich an den Rand, verbeugte sich flüchtig zur Statue im hinteren Raum – dann setzte er sich.Nicht auf ein Kissen. Nicht an einen festen Platz. Einfach auf den Boden. Beine überkreuzt. Hände im Schoß. Rücken gerade. Augen halb geöffnet.
Mario verstand. Ohne Worte. Auch er verbeugte sich, trat ein, setzte sich.Naomi blieb stehen. Schaute die beiden an wie Schauspieler in einem Stück, dessen Regeln sie nicht kannte.Dann ließ sie sich langsam auf die Knie sinken. Ihre Jeans waren nass vom Aufstieg, der Stoff klebte an den Waden.Sie kauerte nicht. Sie hockte. Und sie schwieg.
Die erste halbe Stunde verging wie in Dunst. Niemand bewegte sich. Niemand sprach.Dann knarrte ein Bodendieler.
Sentei
Er trat lautlos ein. Kein Brummen, kein Servo-Geräusch, keine blinkende LED.Nur die Andeutung eines schwarzen Schattens, der sich durch den Raum schob – aufrecht, anmutig, still.Sein Gesicht war eine glatte Fläche. Kein Display, kein Symbol. Nur eine Art matte Leinwand – wie ein Spiegel ohne Licht.
Dann, ganz langsam, erschien etwas darauf: das pixelige Schwarzweiß-Porträt eines alten Mannes.Kōdō Sawaki.Mario erkannte das Gesicht von einem Buchcover. Naomi erkannte es nicht. Alpa senkte den Kopf.
Der Bot – Sentei – ging zu einem niedrigen Tisch, nahm eine Teekanne, füllte drei Schalen, stellte sie lautlos vor die drei Menschen.Kein Blick, keine Geste. Doch als er sich aufrichtete, verweilte seine Leinwandfläche je drei Sekunden auf jedem Gesicht.Drei Scans. Drei Spiegelungen. Kein Urteil. Nur Anwesenheit.
Dann drehte er sich um und ging hinaus.
Still
Sie tranken.Langsam.Der Tee war bitter, fast metallisch – wie der Geschmack einer Wahrheit, die man noch nicht aussprechen kann.
Naomi spürte, wie ihre Muskeln zitterten. Nicht vor Kälte.Vor Haltlosigkeit.Vor dem, was jetzt nicht mehr auf sie wartete: kein Handyempfang, keine Live-Kamera, kein Chatfenster mit Backup.Nur diese zwei Männer. Und der Bot. Und sie selbst.
Mario dachte an die Nacht im Wald, als er aufgeben wollte.Dann an seine Tochter.Dann an nichts.
Alpa dachte nicht. Er saß. Und atmete. Und war.
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