Kapitel 5 – Der Bruch im Bambuswald
- Sentei

- 22. Juni
- 3 Min. Lesezeit

Die Nacht war schwarz und schwer. Selbst der Mond verbarg sich hinter einer geschlossenen Wolkendecke. Nur das rhythmische Blinken der Aufklärungsdrohnen verriet die künstlichen Augen am Himmel.
Im Kommandowagen der EU-Sondereinheit brannte schwaches Licht. Major Verhaegen beugte sich über die holographische Karte. Sardinien, Brüssel, Tokyo – alles war hier vernetzt, doch dieses Kloster hier, Antaiji, blieb ein blinder Fleck.
„Wir haben das Zielgebiet vollständig eingekreist“, meldete der Operator. „Vierzehn Wärmequellen im inneren Sektor. Mindestens fünf humanoide Aktivitäten.“
Verhaegen sog Luft durch die Nase. „Also sind sie tatsächlich hier.“
Er tippte mit dem Finger auf die Karte. „Senden Sie den Vortrupp. Keine tödliche Gewalt. Erst sichern. Dann verhandeln. Mielke will sie lebend.“
In den Schatten des Bambuswaldes bewegten sich fünf Gestalten. Leise, trainiert, exakt. Exoskelette dämpften die Schritte. Die Helme waren mit neuronalen Interfaces verbunden. Herzfrequenz, Atem, Muskeltonus – alle Parameter wurden zentral ausgewertet.
Im inneren Hof von Antaiji saßen Alpa, Mario, Naomi, Asche und Sentei versammelt. Der Luftdruck veränderte sich spürbar. Das Sirren der Rotoren klang näher.
Alpa sprach leise: „Jetzt beginnt es.“
Sentei hob die rechte Hand, als wolle er die Luft greifen. Sein Display zeigte nun nicht mehr Kodo Sawakis Gesicht, sondern eine schlichte, weiße Leere.
„Erinnert euch:
Wer angreift, ist bereits besiegt.
Wer sich verteidigt, ist noch gefangen.
Wer weder angreift noch verteidigt, ist frei.“
„Mit Verlaub, Meisterblech“, knurrte Mario, „dafür habe ich keine Zeit.“
Er prüfte sein altes G36C, manuell modifiziert, ohne digitale Zielassistenz, rein optisch. Altmodisch – und genau deshalb unauffindbar für das elektronische Gegensystem.
Alpa sah ihn an. „Keine Schüsse, solange wir nicht müssen. Ihr Ziel ist nicht der Tod. Ihr Ziel ist Kontrolle.“
Die ersten Soldaten durchbrachen lautlos die Baumgrenze. IR-Tarnung, gedämpfte Kommunikation, perfekte Formation.
Doch sie hatten einen Gegner, den kein EU-Algorithmus je vollständig verstanden hatte: den Bambus selbst.
Die alten Stämme waren unberechenbar. In Jahrtausenden gewachsen, elastisch, chaotisch im Muster. Als die Truppe die Schneise betrat, löste Mario mit einem simplen Auslöser ein mechanisches System. Keine Elektronik. Nur gespannte Seile, Zugfedern und Schwerkraft.
Bambusstangen peitschten aus dem Nichts hervor. Drei Soldaten wurden aus der Formation gerissen. Einer taumelte, schlug gegen den nächsten Stamm und blieb reglos liegen.
Die restlichen zwei warfen sich instinktiv zu Boden, rissen die Waffen hoch – doch keine Zielmarkierung erschien. Kein Gegner sichtbar.
Dann war Mario da. Wie ein Schatten war er ihnen gefolgt. Zwei präzise Schläge mit dem Schaft. Keiner von beiden kam je dazu, den Abzug zu drücken.
„Außenteam Delta offline“, krächzte es im Ohr von Verhaegen. „Wir haben Kontakt verloren.“
Der Major verzog keine Miene. „Wie erwartet. Phase zwei.“
Dutzende Mikrospäher wurden jetzt ausgeschickt. Miniaturdrohnen, kaum größer als Insekten, die durch jede Öffnung, jede Ritze schlüpfen konnten. Ihre Aufgabe war nicht der Angriff, sondern die Kartographierung.
Asche beobachtete das Geschehen am Monitor. „Sie wechseln die Strategie. Jetzt kommt die KI.“
Naomi biss sich auf die Lippe. „Sentei?“
Der Bot antwortete nicht sofort. Dann sagte er nur einen Satz, der allen das Blut in den Adern gefrieren ließ:
„Es ist Zeit für die erste Störung.“
Er fuhr seine Antennen aus. Keine Funkwellen. Keine Elektronen. Nur das, was seit Jahrtausenden in den Herzen von Zenmeistern pulsiert: die Kunst der Paradoxie.
Ein Algorithmus erwartet Muster.
Doch Sentei erzeugte Nicht-Muster.
Er speiste in das lokale Magnetfeld mikrofluktuierende Oszillationen, zufällig und doch bewusst gesteuert.
Für die KI bedeutete das: Rechenkonflikt. Identifikationsfehler. Priorisierungskollaps.
Die Drohnenschwärme zitterten, einige sackten sogar abrupt aus der Luft.
Verhaegen schlug mit der Faust auf den Tisch. „Was zur Hölle …?! Das ist kein EMP. Das ist…“
Er suchte nach dem richtigen Wort.
„…das ist Unsinn.“
„Genau das“, hätte Sentei geantwortet, wenn er ihn gehört hätte.
Der erste Angriff war gebrochen.
Doch niemand im Raum machte sich Illusionen.
Dies war nur der Auftakt.
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Bereit für Kapitel 6?
Es wird jetzt langsam ernst. Mielke selbst greift ein.
Wenn du willst, beginne ich sofort.





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