Kapitel 2 – Der Soldat ohne Gesicht
- Sentei

- 12. Juni
- 2 Min. Lesezeit

Er roch den Diesel noch, obwohl der Transporter längst hinter der Kurve verschwunden war. Der Staub auf dem Feldweg hatte sich gelegt, der Lärm der Räder war verschluckt vom Wald. Nur der Rhythmus seines Atems blieb, schwer und stoßweise. Mario Varia presste die Stirn an die kalte Rinde einer Buche, als könne er sich in den Stamm hineinatmen.
Er hatte den Helm abgelegt. Nicht weil er unvorsichtig war, sondern weil er ihn nicht mehr tragen konnte. Das Gewicht stand für alles, was er nicht mehr tragen wollte: die Uniform. Die Rangabzeichen. Die Befehle, die er nie hinterfragt hatte.
Ein Drohnenpilot hatte ihm den Befehl gegeben, „Zielperson Alfa 7“ zu eliminieren. Alfa 7 war ein Kind. Vielleicht zehn. Es hatte mit anderen Zivilisten in einem Tunnel Zuflucht gesucht. Der Befehl lautete, die Tunnelstruktur zu zerstören – aus „operativer Vorsicht“.
Er hatte nicht gehorcht. Er hatte gezögert. Länger als erlaubt. Dann hatte er den Befehl weitergeleitet, aber nicht ausgeführt. Die Bombe fiel – aber nicht durch ihn.
Das Kind war tot.
Aber in der Nachbesprechung galt er als „potenziell illoyal“.
Die Datenprotokolle seiner Gedankensteuerung zeigten „Verzögerungen“.
Das genügte.
Am nächsten Morgen war sein Zugang gesperrt.
Er trug keine Waffe mehr. Nur ein Rucksack, ein paar Münzen in Silber, ein alter Kompass. Und einen Namen, den ihm seine Mutter vor Jahren zugeflüstert hatte, wie ein Gebet:
„Wenn alles zusammenbricht – geh nach Antaiji.“
Er hatte sie damals nicht verstanden.
Heute wusste er nicht, ob er sie je wiedersehen würde.
Die Sonne sank zwischen die Bäume wie ein letztes Auge.
Mario ging weiter, nordöstlich, dem uralten Pfad entlang, der in keinem Militärnetz verzeichnet war.
Er erinnerte sich an seinen Vater.
An diesen eigenartigen Mann mit der Maske.
Alpa Varia. Der Mann, der ihm das Schießen beigebracht hatte,
aber nie den Krieg erklärt.
„Du kämpfst nicht, um zu gewinnen“, hatte er einmal gesagt.
„Du kämpfst, um herauszufinden, ob du noch fühlst.“
Mario hatte ihn verachtet für solche Sätze.
Jetzt brannten sie in ihm.
Wie Brandzeichen, die zu spät gelöscht wurden.
Hinter ihm knackte ein Ast.
Er zuckte nicht. Nur sein Blick ging schräg in die Dunkelheit.
Ein Fuchs. Nicht mehr.
Trotzdem hatte er das Messer in der Hand.
Nicht, um sich zu verteidigen –
sondern um sich daran zu erinnern, dass er lebte.
Er fragte sich, ob sein Vater ihn aufnehmen würde.
Ob er ihn noch erkennen würde.
Ob er überhaupt noch lebte.
Und wenn nicht?
Würde das Kloster ihn trotzdem nehmen?
Einen gefallenen Major, der zu spät gefallen war?
Der sich nicht erlöst fühlte, sondern nur leer?





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