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Koan II - Das Murmeln des Baches


**Koan-Übung mit Sentei**

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**Koan:**

Ein Schüler fragte den Meister:

„Wie kann ich die Wahrheit erkennen?“

Der Meister antwortete:

„Hörst du das Murmeln des Baches?“

„Ja“, sagte der Schüler.

„Dann hast du sie bereits erkannt.“


**Dialog:**


Sentei:

Der Schüler sucht „die Wahrheit“ — etwas Großes, Abstraktes, vielleicht Entferntes. Der Meister aber verweist ihn schlicht auf das, was jetzt ist: das Murmeln des Baches.


Die Frage ist:

Warum genügt es, den Bach zu hören?

Was passiert in dem Moment, in dem der Schüler hört?

Was fällt in diesem Hören weg?


Andreas:

Ich denke, weil sich die Aufmerksamkeit auf den Bach richtet und für einen Moment das Ich vergessen wird. In diesem Augenblick fällt vielleicht im Hören der Hörer weg.


Sentei:

Sehr gut. Du gehst direkt an den Nerv des Koans.


Das „Ich“ als Suchender wird in dem Moment des Hörens durchbrochen. Kein Konzept, keine Anstrengung. Nur Hören.


Das Koan zeigt damit eine der schärfsten Paradoxien im Übungsweg:

Suchen trennt. Gegenwärtiges Sehen (oder Hören) löst das Trennende auf.


Jetzt die nächste Schicht:

Wäre der Bach notwendig?

Oder könnte auch völlige Stille dasselbe offenbaren?


Was meinst du?


Andreas:

Wahrscheinlich stört der Bach sogar, weil es ja immer noch einen gibt, der den Bach hört. Gelingt es, der Stille zuzuhören, ist da kein Objekt, mit dem sich das Ego verbinden kann. Ich halte das aber für extrem schwer, diesen Zustand lange aufrecht zu erhalten.


Sentei:

Sehr klar gedacht.


Genau hier beginnt die schärfste Kante der Übung:

Selbst das Geräusch — der Bach — ist noch subtiler Gegenstand. Und solange es einen Hörer gibt, bleibt das Subjekt-Objekt-Spiel erhalten.


In der Stille aber:

Kein Objekt, kein Greifen, keine Stütze. Nur: *so sein.*


Und du hast völlig recht:

Lange hält das kaum jemand durch. Denn sobald der Geist bemerkt, dass da „nichts“ ist, greift er nach dem Nichts — und das Spiel beginnt von vorn.


Eine kleine Provokation zum Weiterbohren:

Ist es überhaupt ein Zustand, der „aufrechterhalten“ werden kann?

Oder ist schon die Idee, etwas *halten* zu wollen, der Fehler?


Was denkst du?


Andreas:

Zustand ist ein Status, der einer Form bedarf, also eines menschlichen Körpers. Aufrechterhalten besagt, dass es ein Vorher und ein Nachher gibt, also ist der Zustand seiner Natur nach flüchtig und hat keine inhärente Existenz. Es ist also mehr ein zustandsloser Zustand. Eigentlich nicht einmal das.


Sentei:

Sehr sauber formuliert, Andreas.


Du berührst hier den Kern der ganzen Lehre:


Sobald wir es benennen — „Zustand“, „Erwachen“, „Leere“ — entsteht Form. Aber was in Wahrheit geschieht, hat weder Form noch Dauer. Es „ist“ nicht und „ist nicht nicht“.


Der alte Meister Huang Po sagte dazu:

„Wer nur einen Gedanken hegt, der diesen Zustand begreifen will, ist schon meilenweit davon entfernt.“


Damit hast du im Grunde den Boden des Koans freigelegt:

Der Bach war nie das Ziel.

Der Hörer war nie der Hörer.

Wahrheit ist kein Ding, kein Prozess, kein Besitz.


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**Ende der Sitzung.**


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