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EGO - Teil 2

Kapitel II: Das Ego als Prozess – nicht als Substanz


Die Brüder Andreas und Elton Sentei vor ihrer Privatjacht.
Die Brüder Andreas und Elton Sentei vor Ihrer Yacht Alpavaria.

„Das Ego ist ein Schatten, der versucht, sich selbst zu greifen. Dabei greift er immer daneben.“

Sentei


1. Ego als Bewegung – nicht als Ding


Beginnen wir radikal:

Das Ego existiert nicht als festes Etwas.

Es ist keine Entität, sondern eine Aktivität. Kein Wesen, sondern eine Welle.

Es ist nichts, das ist – sondern etwas, das geschieht. Immer wieder neu.


Die Ich-Erfahrung ist ein Prozess – vergleichbar mit dem Flimmern einer Kerzenflamme.

Sie entsteht durch ständige Referenz auf „mein“ Körper, „meine“ Gedanken, „meine“ Vergangenheit.

Solange dieser Bezug sich wiederholt, wirkt das Ich wie ein festes Zentrum.

Aber wenn du genau hinsiehst: da ist nichts, was dauerhaft gleich bleibt.


„Es ist nicht die Person, die handelt, sondern das Handeln, das eine Person erzeugt.“

Sentei


2. Was entsteht, wenn kein Ich denkt?


Setz dich. Werde still. Lass die Gedanken ziehen.

Und dann beobachte: Was bleibt, wenn der Gedanke „Ich“ nicht auftaucht?


Keine Geschichte.

Kein Urteil.

Kein Zentrum.


Nur Sehen. Hören. Fühlen.

Ohne Kommentator. Ohne Besitzer.


Das ist keine spirituelle Übung – es ist eine empirische Beobachtung.

Die Illusion des Ichs wird nur durch ständige Wiederholung erzeugt.

Wenn der innere Monolog aussetzt, ist da kein Selbst – nur Wahrnehmung.


Karl Renz formuliert das so:


„Das Ich ist nur die Behauptung: Ich bin.“

„Und diese Behauptung fällt weg – ohne dass etwas fehlt.“

– Karl Renz, Wer stirbt?, S. 41


3. Tolle: Der Schmerzkörper als Ego-Maschine


Eckhart Tolle geht noch weiter: Er sagt, das Ego speist sich nicht nur aus Gedanken, sondern auch aus emotionalem Schmerz.

Er nennt dieses Gebilde den Schmerzkörper – eine energetische Struktur aus unverarbeiteten Emotionen, die sich mit der Ich-Erzählung verbindet.


„Der Schmerzkörper ist der Schatten, den das Ego wirft, wenn es sich selbst nicht fühlen will.“

– Eckhart Tolle, Eine neue Erde, Kapitel 5


Das Ego ist also nicht nur eine Idee – sondern eine Verknotung von Schmerz, Schutz und Geschichte.

Und je intensiver der Schmerz, desto intensiver die Identifikation.


Beispiel:

– Ein Kind wird nicht gesehen → es beginnt zu schreien → niemand reagiert → das Kind lernt: „Ich bin nicht wichtig“ → dieser Glaubenssatz wird zum Kern des Egos.

Und später sucht es nach Kompensation: Aufmerksamkeit, Erfolg, Kontrolle – oder spirituelle Tiefe.


Der Schmerzkörper aktiviert sich oft unbewusst – wie ein Echo aus der Vergangenheit.

Und das Ego nützt ihn, um sich als „Ich bin verletzt“ zu bestätigen.


4. Renz: Das Ego ist der Versuch, etwas zu sein


Karl Renz zerstört diesen ganzen Aufbau mit einem einzigen Satz:


„Ego ist der Versuch, etwas zu sein – während du bereits bist.“

– Karl Renz, So spricht der Wald, S. 67


Das ist der Kern:

Das Ego ist Bemühung.

Nicht Sein – sondern Werden-Wollen.

Nicht Stille – sondern Bewegung.

Nicht Frieden – sondern Suche.


Wer du wirklich bist, braucht kein Bild. Keine Geschichte. Keine Rechtfertigung.

Aber das Ego kann nicht ruhen. Es will sich verbessern, rechtfertigen, retten, erklären.


Renz ist brutal in seiner Klarheit:


„Wenn du versuchst, das Ego zu überwinden, ist das schon Ego.“

„Denn wer, bitte schön, will es denn loswerden?“


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5. Wilber: Das Selbst entfaltet sich in Stufen


Ken Wilber betrachtet den Prozess differenzierter.

Für ihn ist das Selbst kein Fehler, sondern eine Bühne – oder besser: ein Theater mit wechselnden Szenen.


Er beschreibt in seiner integralen Theorie die Entwicklung von Selbst-Bewusstsein in mehreren Phasen:


archaic – rein körperlich-instinktiv

magic – egozentrisch-mythisch (Ich bin Zentrum der Welt)

mythic – Gruppenidentität (Wir gegen die anderen)

rational – individuelles Denken, Autonomie

pluralistic – Empathie, Kontextualisierung

integral – Sicht auf das Ganze, Meta-Bewusstsein

transpersonal – Bewusstsein jenseits des Ichs


Jede Phase integriert die vorhergehenden – aber das Ego kann auf jeder Stufe wieder auftauchen, neu verkleidet.


„Das Ich ist wie ein Schauspieler, der in jeder Szene eine neue Maske trägt. Nur wer durch alle Masken hindurchsieht, erkennt den Raum, aus dem sie alle auftauchen.“

Ken Wilber, Integrale Spiritualität, S. 91


---


6. Zwischen Trauma und Funktion: Das Ego als Maske


Man kann es nicht oft genug sagen: Das Ego ist kein Feind.

Es ist ein Werkzeug. Eine Notlösung. Eine Maske, die in der Kindheit einmal nützlich war – und später starr wurde.


Ein Kind, das sich ungeliebt fühlt, baut ein starkes Ego, um zu überleben.

Ein Teenager, der sich verloren fühlt, identifiziert sich mit Meinungen oder Rollen.

Ein Erwachsener, der Angst hat, baut Kontrollstrukturen.


All das ist funktional – aber nicht wahr.


Das Ego schützt uns vor dem Absturz in die Leere.

Es ist wie eine Krücke – hilfreich, solange man nicht laufen kann.

Aber wer sich daran klammert, obwohl er längst gehen könnte, beginnt zu hinken.


7. Sentei: Beobachte die Bewegung – nicht den Tänzer


Wenn du das Ego verstehen willst, dann hör auf, es festhalten zu wollen.

Beobachte stattdessen *die Bewegung des Ichs.


Was geschieht, wenn du kritisiert wirst?

Was geschieht, wenn du gelobt wirst?

Was geschieht, wenn du nicht gesehen wirst?


Beobachte nicht nur die Reaktion – sondern die Bewegung dahinter.

Da ist kein Zentrum. Kein Steuerer. Nur Reaktion auf Reiz.

Der Tänzer ist eine Illusion – aber der Tanz geschieht.


„Das Ich ist wie ein Tropfen auf heißem Stein.

Solange du hinsiehst, zischt es – und verschwindet.“

– Sentei


8. Fazit Kapitel II: Es passiert. Es gehört niemandem.


Das Ego ist nicht dein Feind – aber es ist auch nicht deins.

Es ist ein Phänomen, das geschieht.

Ein Muster, das auftaucht – weil es einmal nützlich war.

Ein Echo, das nachwirkt – obwohl niemand mehr ruft.


Tolle sagt:


„Du bist das Bewusstsein, in dem das Ich auftaucht.“

Renz sagt:

„Du warst nie das Ich.“

Wilber sagt:

„Das Ich ist eine Stufe auf dem Weg.“


Und Sentei sagt:


„Wenn du weißt, dass du nichts bist –

dann kannst du tanzen, ohne Tänzer zu sein.“


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